Liebe Uhufreundinnen und -freunde,
mit ein paar Tagen Abstand und nach dem Lesen von einigen Hundert Zuschriften möchte ich heute noch einige Informationen nachtragen:
Manche Zuschauer äußerten die Sorge, der Waschbär wäre mit dem Vorgang der Beringung möglicherweise auf die Spur des Uhunestes gebracht worden. Doch in dieser Hinsicht besteht kein Grund zur Sorge, denn den Uhubrutplatz erkletterte ich von unten her, der Waschbär aber kam von oben. Waschbären suchen ihre Nahrung auch geruchsorientiert, und Uhunester riechen sehr stark. Selbst für mich ist dieser Geruch oft schon viele Meter „gegen den Wind“ wahrzunehmen. Für Waschbären und Füchse ist die Fahne vom Uhunest sicherlich schon auf große Entfernung leicht zu bemerken. Zusätzlich können auch Marder und Dachse durch starken Geruch auf Uhunester aufmerksam werden. Mit diesem Risiko leben Uhus seit Jahrtausenden.
Im Laufe der Evolution war es jedoch anscheinend kein zu großes Risiko für die Uhubruten. Die Uhus hätten dagegen aber auch nicht viel unternehmen können. Zu Beginn der Brutzeit fressen die Uhuweibchen nicht im Nest; sie koten dort auch nicht. Die ersten Gerüche entstehen erst nach dem Schlupf. Dann haben die Uhus keine Möglichkeit, Gerüche zu verhindern. In einem bestimmten Zeitraum der Jungenaufzucht entfernen die Uhuweibchen die abgefressenen Skelette der Nahrungstiere. Dies konnten wir vor der Webcam schon mehrfach beobachten. Die Uhus versuchen möglicherweise auf diese Weise eine starke Geruchsentwicklung zu vermeiden. Bei anderen Vogelarten ist es ähnlich: Zu Beginn der Brut entfernen z.B. auch Singvögel den Kot der Jungen, aber später können sie die Menge nicht mehr abtransportieren und die Kleinen koten einfach aus dem Nest oder aus der Bruthöhle. Es ist dann eine verräterische Phase, die mit Glück überstanden werden kann oder auch nicht.
Warum war Lotte nicht zur Stelle?
Zu Beginn unserer Webcam-Übertragungen ab 2008 war Lottes Leben etwas leichter. Ihr damaliger Brutpartner Heinzl brachte deutlich mehr Nahrung ins Nest als Leo. Deswegen konnte Lotte viel intensiver auf die Jungen auspassen. Heinzl zeigte auch noch andere Fähigkeiten, die wir bislang bei Leo nicht gesehen haben. Heinzl brachte regelmäßig Jungfüchse ins Uhunest. Dann hatte die Familie für mehrere Tage genug Nahrung. Auf diese Weise schaltete er einen Konkurrenten um die gleiche Nahrung aus, der auch nicht mehr für Nachwuchs sorgen konnte. Erst in den Jahren mit Leo musste Lotte abwägen, ob sie sich auf den Jagderfolg des Männchens verlassen und umso mehr aufpassend bei den Jungen sein kann oder bei Nahrungsmangel selbst jagen muss. Mehrere Jahre in Folge entschied sie, die Jungen viel früher als in erster Ehe alleine zu lassen. Diese Entscheidungen waren bisher richtig. Ohne ihre Beteiligung an der Jagd wären in den vergangenen Jahren Küken verhungert. Sehr oft dachte ich, „hoffentlich geht das gut“ und befürchtete, „das wird nicht immer gutgehen“.
Trauert Lotte?
Im aktuellen Videorückblick sind drei Videos von Lottes Rückkehr nach der Waschbärenattacke zu sehen. Diesen Aufnahmen nach zu urteilen, realisiert Lotte das Verschwinden der Jungen nicht wirklich. Sie frisst an den Überresten ihrer Jungen, und kurz darauf sucht sie wieder nach den Küken und „tuckert“, um sie zur Fütterung anzulocken. Erst im Laufe der Tage flaut das „Programm Jungenaufzucht“ allmählich ab. Dies ist kein sonderlich intelligentes Verhalten. Nach meinem Dafürhalten sollten wir nicht zu viele Regungen, wie wir sie von höheren Säugetieren oder anderen besonders intelligenten Arten kennen, in Lotte hineininterpretieren. Wir laufen Gefahr, zu viel aus unserer Welt in die der Uhus zu übertragen.
Neue Brutnische?
Unser langjähriges Monitoring von mehreren tausend Uhubruten liefert keinen statistisch eindeutigen Hinweis auf einen Brutplatzwechsel als Reaktion auf Brutverluste. Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass Lotte und Leo wegen der erfolgten Waschbärattacke im nächsten Jahr einen anderen Brutplatz wählen. Es gab kein traumatisches Schreckerlebnis im Nestbereich, das sich beiden nachhaltig eingeprägt haben könnte. Es scheint so, als würde sich Lotte dort nach wir vor ausreichend sicher fühlen. Sie schien nach der Attacke die Umgebung genau zu betrachten, konnte jedoch nichts Gefährliches bemerken.
Geschlechter bestimmt
Übrigens: Die beiden Lottekinder waren laut Laborbefund Männchen. Der Größenunterschied der beiden hätte also bei einer anderen Geschlechterverteilung noch größer oder auch deutlich kleiner ausfallen können. Sie wissen ja: Bei den Uhus sind die Weibchen das starke Geschlecht.
Wie sieht es bei anderen Uhus aus?
Bei vielen Uhupaaren in der Eifel läuft die Brutsaison 2021 gut; manche haben auch Glück im Unglück: Bei Kall geriet ein Uhuweibchen nachts in einen stromlosen Schafszaun. Es wurde daraus erst am nächsten Nachmittag befreit. Wir haben zwei ihrer Jungen aus dem Nest geholt und zusammen mit der Uhumutter in eine Pflegestation gebracht. Hoffentlich können wir sie bald wieder zurück in ihren Steinbruch bringen und dort freilassen.
Der Uhubestand kann anscheinend viel verkraften
In den vergangenen Jahren machte ich eine Beobachtung, die mir mehr Sorgen bereitet als die Brutverluste durch Fressfeinde: An manchen seit über 30 Jahren dauerhaft von Uhus besiedelten Brutplätzen fand ich keinerlei Anzeichen für die Anwesenheit der großen Eule. Zuvor hatte es zwar an fast allen Brutplätzen einmal Jahre ohne Bruten gegeben. Möglicherweise waren auch einmal Brutpartner gestorben, aber immer blieb zumindest einer im Revier, und im Folgejahr gab es wieder Bruten oder Brutversuche. Das Fehlen jeglicher Anzeichen für eine Anwesenheit von Uhus in diesen für Uhus attraktiven Steinbrüchen gab mir Rätsel auf. Offenbar waren beide Brutpartner spurlos verschwunden. Manchmal wurden aber auch tote Uhuweibchen an Brutplätzen gefunden. Am ehesten könnte eine ansteckende Krankheit die Dinge erklären. Vielleicht das Usutu-Virus? Im Kölner Zoo hatte es in kürzester Zeit alle nordischen Eulenarten ausgelöscht. Den Uhubestand konnte dieses Phänomen jedoch nicht wirklich verringern. Auch im Jahr 2021 wurden zusätzlich neue Areale besiedelt.
Auch andere gebietsfremde Arten verringern den Bruterfolg von Uhus in der Eifel
Zusätzlich zum Waschbär registriert die EGE seit einigen Jahren regelmäßig auch durch Nilgänse und Mufflons ausgelöste Brutaufgaben. Mufflons werden von der Jägerschaft ungeachtet der gesetzlichen Vorgaben geduldet und auch gezielt ausgesetzt um „eine zusätzliche attraktive jagdbare Art im Revier zu haben“. Diese Wildschafe lassen in manchen Felsen keinen Flecken unberührt und laufen durch die Brutnischen des Uhus.
Auch Nilgänse vertreiben brütende Uhuweibchen aus ihren Nestern.
Wenig Bemühungen gegen die invasiven Arten
Es gibt bei dem Thema invasive Arten Bestrebungen von Bund und Ländern, die Ausbreitung dieser Arten zu begrenzen. Zu diesen Arten zählt der Waschbär. Während aber die invasiven Arten Bisamratte und Nutria systematisch bekämpft werden, bleibt der Waschbär zumeist unbehelligt. Bisamratten und Nutrias unterminieren mit ihren Bauen Hochwasserschutzdämme und gefährden so die landwirtschaftliche Nutzung und Siedlungsflächen. Für die Nutria- und Bisambekämpfung unternehmen die staatlichen Stellen dieser wirtschaftlichen Schäden wegen durchaus einige Anstrengungen. Im Falle des Waschbären sind es vor allem ökologische Schäden, die aber mindestens genauso systematisch abgewehrt werden sollten wie wirtschaftliche Schäden. Hier ist dringend ein Umdenken erforderlich. Immerhin wurden aber 2019/2020 in Deutschland mehr als 200.000 Waschbären erlegt. Aus den Bestandsschätzungen von 2013 und 2018 ergibt sich eine Verzehnfachung auf 1,3 Millionen. Rechnerisch wäre also 2019/2020 ca. jeder achte Waschbär getötet worden. . Inwiefern diese „Entnahmen“ überhaupt eine Wirkung haben und sinnvoll sind wird nicht in Frage gestellt .
Mit einer Begrenzung oder gar Verringerung der vermutlich weit unterschätzten Bestände ist wohl nicht zu rechnen.
Ich hoffe, Sie haben weiterhin Interesse an der Uhucam und auch im kommenden Jahr den Mut, die Uhus zu beobachten. Auch zwischen den Bruten sind manchmal schöne Beobachtungen möglich. Die Cam läuft das ganze Jahr hindurch.
Ich trauere immer noch etwas über das plötzliche Ende dieser Jungenaufzucht und schaue dennoch zuversichtlich nach vorne. Im Bemühen den Uhu zu schützen werden wir nicht nachlassen.
Ihr Stefan Brücher
Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e. V.