Liebe Uhufreundinnen und -freunde,
schon seit sechs Tagen hinkt Lotte deutlich. Nach der Nacht vom 27. auf den 28.06. war sie nicht zum Nest zurückgekommen, erst am 28./29. um 0 Uhr konnten wir sie mit Beute wieder vor der Cam sehen – deutlich hinkend.
Über die Verletzungsursache können wir viel spekulieren: Eine Bisswunde von einem Beutetier, ein einfacher Dorn, den sie sich beim „Nahkampf“ im Gebüsch im Fuß zugezogen hat, ein Igelstachel, eine stumpfe Verletzung (Verstauchung, Bruch von Zehen) z.B. durch Anprall an einem Auto oder Hängenbleiben an einem Zaun (eine mittlere Zehe scheint einen Knick zu haben) … Es gibt viele Möglichkeiten. Die schwierige Nahrungssituation mag Lotte zur Jagd in größerem Umkreis und an unbekannten Orten bewogen haben. Vielleicht geht sie Risiken ein, die in normalen Jahren nicht nötig sind. Vielleicht wäre sie diese Risiken nicht eingegangen, wenn der Jungvogel nicht zu versorgen wäre. Vielleicht hatte sie auch einfach viele Jahre trotz hunderten von gefährlichen Jagdflügen Glück, und nun war es aufgebraucht. Vielleicht, vielleicht.
Aber glücklicherweise hat Lotte auch das Privileg, unsere „Web-Cam–Uhudame“ zu sein. Mit solch einer Verletzung hätte sie im normalen Leben arge Schwierigkeiten, genug Nahrung zu bekommen. Die damit verbundene Schwächung würde ihren Gesundheitszustand rasch verschlimmern, es würde wohl bald lebensbedrohlich. Mit unseren nun erhöhten Futterlieferungen kann sie sich meist sattfressen, kann ihren Fuß etwas schonen und hat die Chance, die Verletzung zu überstehen. Die äußerlich sichtbare Beeinträchtigung wurde in den vergangenen Tagen zumindest nicht stärker. Lotte ist immer noch kräftig, reagiert normal und flink. Bisher beeinträchtigt die Verletzung noch nicht sichtbar den Gesamtzustand.
Wo ist eigentlich Leo?
In den vergangenen schwierigen Wochen war Leo recht „unauffällig“. Nennenswerte Futterlieferungen oder sonstiges Kümmern um den Nachwuchs konnten wir kaum beobachten; wir können geringe Futterlieferungen zum Übergabeplatz aber auch nicht ausschließen.
Futterübergabeplatz und „Fremduhu“
Bisher brachte ich die Bisamratten meist zum traditionellen Futterübergabeplatz. Die Tiere wiegen 1-2 Kilogramm und wurden von Lotte meist zuverlässig zum Nest gebracht. Es gab jedoch auch zwei Bisamratten, die nicht im Nest ankamen; es ist ungeklärt, was damit geschah. Mit einer Wildcam versuchte ich dem möglichen Dieb auf die Schliche zu kommen, dies gelang jedoch bisher nicht. Am vergangenen Donnerstag verschwand die Bisamrate derart schnell, dass die Auslösezeit von 0,9 Sekunden nicht ausreichte, den Abholer abzulichten. Die Cam wurde zwar ausgelöst, das Foto zeigt jedoch nur „Bisam weg“. Ich vermute einen anderen, fremden Uhu als Bisamdieb und zwar eher ein Weibchen da die zuletzt verschwundene Bisam sehr groß und schwer war. Diese im „Vorbeifliegen“ so schnell mitzunehmen vermag nur ein sehr großer und kräftiger Uhu. Alles Vermutungen, aber am heutigen Sonntag konnten wir akustisch ein fremdes Weibchen bestätigen…
Um Lottes Fuß nun nicht mit den Transportdiensten zu belasten, sehe ich mich gezwungen, die Nahrung doch wieder bis ins Nest zu liefern (zumindest schwere Tiere). Dies ist mühsamer und mit mehr Kletterei verbunden. Von einer Stufe unter dem Nest aus werfe ich die Bisamratte auf die Terrasse, ohne dass mich der Junguhu sehen muß. Bisher gelingt dies recht gut; der Jungvogel wurde noch nicht von einer fliegenden Bisamratte getroffen.
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Der Junguhu kann sicherlich schon besser und mehr fliegen als er sich bisher traut. Er ist auch schon mehrmals in das abgestorbene Efeu über der traditionellen Brutnische und damit außer Sichtweite der Cam geflogen. In einigen Tagen müsste die Umstellung des Jungen auf den traditionellen Übergabeplatz gelingen, dies ist jedoch mit der gleichzeitigen Schonung von Lottes Fuß nicht so leicht vereinbar.
Es gibt also vieles zu berücksichtigen und es ist nicht sicher, ob wir mit wohl gemeinten Hilfsmaßnahmen letztendlich etwas Positives bewirken. Und eines sollten wir auch sehen: So sehr wir auch diesem einen „Uhu-Vorzeigepaar“ helfen, bei all den anderen wird ganz normal gelitten und gestorben.
Die Bisamratten werden uns übrigens von professionellen Bisamjägern kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Tiere werden getötet, um die Uferbefestigung kleinerer Flüsse vor Unterhöhlung zu schützen. Bisher kamen die Kadaver in die Tierkörperverwertungsanlage.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Stefan Brücher
Gesellschaft zur Erhaltung der Eulen e. V.